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Donnerstag, 29. August 2013

Bullshit Jobs



"Der gegenwärtige Produktionsapparat ist also einerseits diese gigantische Maschine zur psychischen und physischen Mobilisierung, zum Aufsaugen der Energie der überschüssig gewordenen Menschen, andererseits ist er diese Maschine zum Aussortieren, die den konformen Subjektivitäten das Überleben gewährt und alle "Risikoindividuen" im Stich lässt, all jene, die einen anderen Gebrauch des Lebens verkörpern und ihm gerade dadurch widerstehen. Auf der einen Seite erhält man die Gespenster am Leben, auf der anderen Seite lässt man die Lebenden sterben. Das eben ist die spezifisch politische Funktion des gegenwärtigen Produktionsapparats. Sich jenseits und gegen die Arbeit zu organisieren, aus dem Regime der Mobilisierung kollektiv zu desertieren, die Existenz einer Lebenskraft und einer Disziplin in der Demobilisierung selbst zum Ausdruck zu bringen, ist ein Verbrechen, das eine Gesellschaft in Bedrängnis nicht bereit ist, uns zu verzeihen; es ist tatsächlich die einzige Art, sie zu überleben."
Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand, Edition Nautilus 2010, S. 33/34



Winter
Hat sich jemals einer Gedanken darüber gemacht, woran es liegt, dass fast alle Arbeiten, die etwas mit hoher persönlicher Verantwortung zu tun haben - Fahrdienstleiter, Assistenzärzte, Polizisten -, oder Berufe, die konkrete Hilfeleistungen für andere Menschen anbieten - Ernährungsberater, Sozialarbeiter, Altenpfleger, Rettungssanitäter -, oder Berufe, in denen die Liebe zum Lebendigen wichtig ist - Tierpfleger, Gärtner, Erzieher -, oder kreative und forschende Arbeit wie die von wissenschaftlichen Mitarbeitern an Universitäten - warum diese Tätigkeiten so prekär sind und so schlecht bezahlt werden? Warum können freiberufliche Autoren, Journalisten, Grafiker, Künstler, Musiker von ihrer produktiven Arbeit kaum noch leben, ganz im Gegensatz zur "Content"-Industrie, die diese Kreativität lediglich parasitär vermarktet und vermittelt? Und hat mal jemand über die Frage nachgedacht, wozu ein Unternehmen überhaupt Unternehmensberater braucht?

Für all dies gibt es gute Gründe, wenn man dem Anthropologen David Graeber in seinem Artikel "On the Phenomenon of Bullshit Jobs" folgen will: (Ich habe die Zitate ausnahmsweise ins Deutsche übersetzt)
 "The ruling class has figured out that a happy and productive population with free time on their hands is a mortal danger (think of what started to happen when this even began to be approximated in the ‘60s). And, on the other hand, the feeling that work is a moral value in itself, and that anyone not willing to submit themselves to some kind of intense work discipline for most of their waking hours deserves nothing, is extraordinarily convenient for them."
(Die herrschende Klasse hat herausgefunden, dass eine glückliche und produktive Bevölkerung, die über freie Zeit verfügt, eine tödliche Gefahr für sie ist (man denke nur an das, was passierte, als man sich diesem Zustand in den 60er Jahren annäherte). Auf der anderen Seite ist die Ansicht, dass Arbeit einen moralischen Wert an sich darstellt, und dass jeder, der nicht dazu bereit ist, sich auf irgendeine Art eine strenge Arbeitsdisziplin für den größten Teil seines Tages aufzuerlegen, nichts anderes verdient als nichts zu verdienen, außerordentlich bequem für sie.)
"This is a profound psychological violence here. How can one even begin to speak of dignity in labour when one secretly feels one’s job should not exist? How can it not create a sense of deep rage and resentment. Yet it is the peculiar genius of our society that its rulers have figured out a way, (...) to ensure that rage is directed precisely against those who actually do get to do meaningful work."
(Hier liegt eine tiefgreifende psychische Gewalt. Wie kann man auch nur ansatzweise von der Würde der Arbeit sprechen, wenn man innerlich klammheimlich davon überzeugt ist, dass es den eigenen Arbeitsplatz eigentlich nicht geben sollte? Wie sollte dies nicht zu einem Gefühl der tiefen Wut und des Ressentiments führen? Es gehört allerdings zu den Eigentümlichkeiten unserer Gesellschaft, dass seine Herrscher einen Weg gefunden haben, (...) um sicherzustellen, dass diese Wut über den eigenen sinnlosen Arbeit sich genau gegen diejenigen richtet, die eine wirklich sinnvolle Arbeit verrichten.)
"For instance: in our society, there seems a general rule that, the more obviously one’s work benefits other people, the less one is likely to be paid for it. Again, an objective measure is hard to find, but one easy way to get a sense is to ask: what would happen were this entire class of people to simply disappear? Say what you like about nurses, garbage collectors, or mechanics, it’s obvious that were they to vanish in a puff of smoke, the results would be immediate and catastrophic. A world without teachers or dock-workers would soon be in trouble, and even one without science fiction writers or ska musicians would clearly be a lesser place. It’s not entirely clear how humanity would suffer were all private equity CEOs, lobbyists, PR researchers, actuaries, telemarketers, bailiffs or legal consultants to similarly vanish. (Many suspect it might markedly improve.) "
(In unserer Gesellschaft scheint es beispielsweise eine allgemeine Regel zu sein: Je offensichtlicher eine Arbeit Nutzen und Vorteile für andere Menschen mit sich bringt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Arbeit (angemessen) bezahlt wird. Auch hier ist es schwer, einen objektiven Maßstab zu finden, aber eine einfache Möglichkeit, um diesem Zusammenhang näher zu kommen, ist die Frage: Was würde passieren, wenn all diese Menschen einfach verschwinden? Sie können über Krankenschwestern, Müllmänner oder Mechaniker denken, was Sie wollen, klar ist doch eins: Überall dort, wo sie in einer Rauchwolke verschwinden würden, wären die Folgen auf der Stelle spürbar und katastrophal. Eine Welt ohne Lehrer oder Hafenarbeiter würde sehr bald in Schwierigkeiten geraten, und selbst eine Welt ohne Science-Fiction-Autoren oder Ska-Musiker wäre eindeutig eine ärmere Welt. Es ist zweifelhaft, wie sehr die Menschheit darunter leiden würde, wenn alle Private-Equity-CEOs, Lobbyisten, Marktforscher, Versicherungsmathematiker, Telemarketer, Gerichtsvollzieher oder juristische Berater auf ähnliche Weise verschwinden würden. (Viele vermuten, es würde zu eine deutlich Verbesserung der Verhältnisse führen.))
"If someone had designed a work regime perfectly suited to maintaining the power of finance capital, it’s hard to see how they could have done a better job. Real, productive workers are relentlessly squeezed and exploited. The remainder are divided between a terrorised stratum of the, universally reviled, unemployed and a larger stratum who are basically paid to do nothing, in positions designed to make them identify with the perspectives and sensibilities of the ruling class (managers, administrators, etc) – and particularly its financial avatars – but, at the same time, foster a simmering resentment against anyone whose work has clear and undeniable social value."
(Falls irgendjemand die Aufgabe hätte, ein Arbeitsregime zu erfinden, das für die Aufrechterhaltung der Macht des Finanzkapitals perfekt geeignet ist, - er hätte kaum eine bessere Lösung finden können. Echte, produktive Arbeiter werden unerbittlich ausgequetscht und ausgebeutet. Der Rest der Menschen ist aufgeteilt zwischen einer Gruppe terrorisierter, allgemein und durchgängig verachteter Arbeitsloser und einer größere Schicht, die im Grunde dafür bezahlt werden, gar nichts zu tun. Für diese Schicht sind eigens Arbeitsplätze entwickelt worden, mittels derer die Mitarbeiter dazu gebracht werden sollen, sich mit den Zielen und Werten der herrschenden Klasse (Manager, Führungskräfte etc.) zu identifizieren, die gleichzeitig jedoch schwelende Ressentiments nähren gegen all jene Menschen, deren Arbeit auf klare und nicht zu leugnende Weise einen sozialen Wert besitzt.)

Muss man diesen Text von Graeber noch erläutern? Lediglich der verschwörungstheoretische Touch stört mich etwas; ich glaube nicht daran, dass sich das Establishment hingesetzt und sich gesagt hat: Lass uns jetzt mal das perfekte Arbeitsregime erfinden, um unsere Herrschaft auf Dauer zu sichern. Ich denke eher, hier kamen mehrere historisch kontingente Faktoren zusammen. Aber an der Evidenz von Graebers Thesen ändert dieser Einwand nichts. Nobelpreisträger Paul Krugman spricht inzwischen von einem "Krieg gegen Arbeitslose". Vor einiger Zeit bin ich auf folgenden User-Kommentar zu einem Bericht über akademische Forschung gestoßen, der den Sachverhalt, auf den Graeber hinweist, klar zum Ausdruck bringt:
8. Volle Zustimmung und Lob für diesen Artikel 
Das war ein sehr guter Artikel, der beste Artikel den ich seit langem gelesen habe! Statt all der negativen Warnungen, welche Mühen die akademische Laufbahn mit sich bringt endlich mal ein positiver Artikel. Und Wissenschaft IST wichtig! Eine kleine Anekdote, die mir eine befreundete Künstlerin erzählte, die aber auch auf Wissenschaftler zutreffen könnte: Eine Zufallsbekanntschaft in einer Kneipe hatte ihr gesagt, er halte die Beschäftigung mit Kunst für völlig überflüssig und die Gesellschaft brauche keine Künstler. Als sie dann aber näher nachfragte, was er denn eigentlich in seinem angeblich so wichtigen Job in der Privatwirtschaft mache, da kam heraus dass er eigentlich nur seine Arbeitszeit absitzt und den ganzen Tag auf Kosten seiner Kunden in Facebook surft. Und ich denke, viele der heutigen Unternehmen, die virtuelle Güter und Profite erzeugen, ob das nun Banken mit ihren immer neuen Finanzprodukten oder Werbeagenturen oder auch Grosskonzernen mit der 1000ten Variante von einem Produkt das keiner braucht ("Diversifizierung") sind, all deren Arbeit ist gesellschaftlich so viel weniger wichtig als Wissenschaft. Letztendlich sind es Wissenschaft und Kunst die unsere Gesellschaft voranbringen und nicht Versicherungen, Werber, oder Banker.
Was viele Nicht-Akademiker nicht wissen: Forschung und Wissenschaft werden mittlerweile nach denselben kurzsichtigen, rendite- und wettbewerbsorientierten Marktregeln organisiert wie die Ware Arbeitskraft in der freien Wirtschaft. Die politisch gewollte Flut der Abiturienten, Bachelors und Promovenden hat nur den einen Zweck: die Preise zu drücken, sprich die Gehälter. Das Arbeitskräfte-Angebot wird künstlich ausgeweitet, Berufungskartelle zementieren das akademische Mittelmaß, und kein deutscher Mittelmaß-Professor duldet unter sich einen hochqualifizierten Doktoranden. Negativ-Auslese.

Bullshit Jobs sind in der Regel auch solche, bei denen die Leute auf Dauer verblöden, buchstäblich. Alle Arten von Kontroll- und Routinearbeiten, alle hochspezialisierten computergestützen Arbeiten, innerhalb einem sehr engen Anforderungskorridors. Jeden Tag dasselbe, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Das Gehalt ist Schmerzensgeld für diese Verblödung, kann aber den Verlust an Lebensqualität, an Bildung und Intelligenz nicht im mindesten ausgleichen.

"Verachtungskultur" und geschlossene Gesellschaft


Der SPIEGEL hat vor einiger Zeit das Thema Unternehmenskultur kritisch beleuchtet. Hier trifft im Besonderen zu, was für die herrschende Klasse insgesamt gilt: völlige Abschottung nach unten, intellektueller und mentaler Inzest, systemimmanente blinde Flecke, Innovationsfeindlichkeit, Nepotismus und Klüngelei - beste Voraussetzungen für eine Fahrt auf der Titanic, für einen Crashkurs gegen die Wand. Ich freue mich schon darauf. Es ist kein Zufall, dass der Begriff der "Elite" im Zuge der Globalisierung wieder hoffähig geworden ist. Man kann ihn heute nur noch mit spitzen Fingern anfassen. Er ist durch die gesellschaftliche Gruppe, die ihn sich anheftet, mittlerweile vollständig pervertiert:
"Führungskräfte nutzen ihre Macht dafür, nichts mehr hinzulernen zu müssen", beschreibt der Berliner Wirtschaftspsychologe Wolfgang Scholl die verheerenden Auswirkungen dieser hierarchisch zementierten Verachtungskultur. Daher werde "immer weniger neues Wissen, das ein Unternehmen dringend benötigt, produziert". Eine Studie beziffert die volkswirtschaftlichen Schäden durch die verbreitete "innere Kündigung" der "Verlierer" auf bis zu 100 Milliarden Euro im Jahr.Die Innovationsfeindlichkeit dieser Strukturen wird durch die grotesken Rekrutierungsmechanismen auf Führungsebene noch verstärkt. Von einer "Geschlossenen Gesellschaft" in der deutschen Wirtschaft spricht der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann. Über die Hälfte des deutschen Top-Managements stammt aus dem winzigen 0,5-Prozent-Segment der reichsten deutschen Familien. "
Auf die geschlossene Gesellschaft der deutschen oberen Führungskader trifft insbesondere zu, was für Entscheidungsprozesse in Gruppen wiederholt und bereits vor Jahrzehnten festgestellt wurde.
"Für besondere Engstirnigkeit in einer Gruppe von Entscheidern – "Groupthink" genannt – machte schon 1982 der Sozialpsychologe Irving Janis drei Bedingungen fest: hoher Zusammenhalt der Gruppe und Loyalität zum Vorsitzenden, strukturelle Fehler der Organisation sowie ein aufgeheizter Kontext, der die Entstehung von Stress begünstigt. Strukturelle Fehler seien vor allem: Abschottung nach außen, autoritäre Führung, Fehlen standardisierter Entscheidungsprozeduren sowie Homogenität des sozialen und ideologischen Hintergrunds der Gruppenmitglieder." (ZEIT online, "Stress: Gruppen entscheiden meistens schlecht", 24.10.2013)
Wie emotional und intellektuell degeneriert die Kaste der Manager inzwischen ist, zeigt dieses Beispiel auf ZEIT online:
"Der Wirtschaftstrainer und Executive Coach Stéphane Etrillard hat sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Er empfiehlt Führungskräften, auf Begriffe zu verzichten, die den Gesprächspartnern fremd sind. Nicht selten neigen Manager dazu, das eigene Wissen darzustellen. Da jedoch die Verständigung im Vordergrund stehen sollte, ist auf Spezialvokabular, das der Gesprächspartner nicht kennt, zu verzichten. Ist das nicht möglich, sollten Begriffe kurz, präzise und vor allem auf Augenhöhe erklärt werden."
Sich sprachlich an das Niveau seines Gegenübers anpassen: Normal sozialisierte Menschen schaffen das automatisch, ohne auch nur für einen Sekundenbruchteil darüber nachdenken zu müssen. Manager brauchen dazu eine Schulung von "Beratern".
"Natürlich wird nun jeder Manager sagen: "Unsere Gehälter sind explodiert, weil wir die Gewinne unserer Unternehmen enorm gesteigert haben." Dieses Märchen ist schön, aber nicht wahr; aus einer Studie der Ökonominnen Dalia Marin (München) und Francesca Fabbri (Norwich) geht hervor, dass die Gewinnentwicklung eines Unternehmens und die Gehaltsentwicklung des Top-Managements so viel miteinander zu tun haben wie die Lottozahlen mit einem Taschenrechner - so gut wie nichts." (SPIEGEL online: Unternehmen Irrsinn. Die Gehaltslüge, 31.10.2012)
Im Klartext: Die Top-Gehälter sind komplett abgekoppelt von der Arbeitsleistung. Das Geld für die Manager kann nur noch von den gekürzten Löhnen und der gesteigerten Produktivität, der verdichteten Arbeit kommen. Um die Aktionäre zufriedenzustellen, werden willkürliche Gewinnerwartungen festgesetzt und die Kosten dafür dann bei Produktentwicklung, Gehältern, Investitionen, Abzocke von staatlichen Subventionen wieder "reingeholt". Die Zeche zahlen die Mitarbeiter, die Verbraucher, die Gesellschaft. Die DAX- Unternehmen sind reine Selbstbedienungsläden. Für ihre Führungskräfte haben sie das Verantwortungs- und Leistungsprinzip, für den Konzern als Ganzes das unternehmerische Risiko abgeschafft.

Deutsche Manager sind, wenn man den einschlägigen Studien folgen will, der lebende Beweis für die Gültigkeit des Peter-und Dilbert-Prinzips, sie lesen am wenigsten, bilden sich kaum fort, verhalten sich ihren Mitarbeitern gegenüber asozial, weichen jeder Verantwortung aus, werden für Fehler belohnt.

Wenn dies hier ein repräsentatives Beispiel für das intellektuelle Niveau von Managern ist, dann Gute Nacht. Auf ähnlichem Kindergartenniveau befinden sich hunderte weitere Trashbücher: "Das Pinguin-Prinzip", "Die Bären-Strategie", "Der Minuten-Manager", "Das Minuten Verkaufstalent", "Der Minuten-Manager und der Klammer-Affe: Wie man lernt, sich nicht zuviel aufzuhalsen". "Die Fortuna Formel. Wie Sie die Voraussetzungen für Ihr Glück schaffen". "Ich mach dich glücklich. Mit Hypnose-CD". "Denke nach und werde reich. Die Erfolgsgesetze".

Was sich heute Führungskraft nennt, hätte im Grunde, wenn es denn so etwas gäbe wie einen gerechten Markt, der die Schwachen aussortiert, gar keine Existenzberechtigung mehr. Weder durch fachliche Kompetenz - die eigentliche Arbeit machen nämlich die Indianer -, erst recht nicht durch Sozialkompetenz. Es sei denn, man nimmt Führungskräfte als Negativbeispiel, als Vorleben von Defiziten, als Demonstration dessen, wie man sich eben nicht verhalten sollte.

Je weiter man in der Gehaltspyramide nach oben blickt, desto mehr werden Menschen eher nach körperlicher Anwesenheitsdauer bezahlt denn nach konzentrierter geistiger oder körperlicher Arbeit. Und zwar überall dort, wo Menschen selber Einfluss auf die Höhe ihrer eigenen Entlohnung ausüben. Die höhere Vergütung soll der höheren Verantwortung entsprechen? Das ist ja lachhaft. Die persönliche Haftung bei Versagern in Politik und Wirtschaft ist faktisch abgeschafft. Die größte Last des Arbeitspensums in diesem Land wird von unteren und mittleren Ebenen getragen. Das Eröffnen eines Flughafens, das vor sich Hindämmern während einer Sitzung, das abendliche Essen mit Geschäftsfreunden ist keine Arbeit. Hier werden keine Kalorien verbrannt. Vorsorglich ist der Leistungsbegriff durch die selbsternannten "Eliten" so derart diffus artikuliert und durch nicht erlernbare, willkürlich festgelegte Soft Skills aufpoliert, dass alles und jeder sich als Leistungsträger wähnen darf, während gleichzeitig an den unteren Ebenen über jede Arbeitsminute Rechenschaft abgelegt werden muss über ihre Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Wer von den Damen und Herren in den Regierungen und Parlamenten, in den Vorständen und Gremien kann sich 8 Stunden am Stück konzentrieren, zumal unter Zeitdruck? Das System ist durch Blender und pathologische Narzissten, rückgratlose Mitläufer, skrupellose Charakterschweine, Ignoranten und Volltrottel installiert worden, von ihnen durchseucht, und logischerweise lässt man nur noch diese Typen hochkommen, alle anderen werden ausgesiebt. Oder wie es ein anonymer Forist ausgedrückt hat: "Sprich, in jedem System kommen logischerweise diejenigen weiter, welche zu diesen am besten passen."

Die Abschottung der Führungs- und Machtpositionen hat noch einen anderen Zweck. Es darf keiner von außen rein, damit keiner von draußen merkt, was sich hier für degenerierte inkompetente Dummschwätzer und Hohlköpfe tummeln, was für ein Mummenschanz hier zelebriert wird, zelebriert werden muss, um den Mythos von den Leistungsträgern aufrechtzuerhalten. Ab und zu, sehr selten, steigt mal einer aus dem Zirkus aus und plaudert aus dem Nähkästchen, wie dieser Forist in einem Unternehmensberater-Blog
"Ich bin in einer Branche unterwegs, in der man viele kleine und große Schweinereien mitkriegt, von der Nadelstich-Intrige bis zum großen Unternehmensbetrug. Darüber spricht keiner, aber alle wissen, wie’s läuft. Da gibt es die Weggucker, die Mitläufer, die Drahtzieher, die geschassten Verweigerer. “Irgendwann hat jeder Dreck am Stecken”, meint ein Manager, der mir gegenübersitzt. “Anders geht’s gar nicht.” " 
Oder Mojtaba Sandinam zum Beispiel:
Sadinam: An der WHU sprachen wir nicht von "Lernen", sondern von "Burnen". Wir sollten die Inhalte akzeptieren, eins zu eins in die Köpfe brennen und wiedergeben. Das meine ich mit geistiger Engstirnigkeit: keine Fragen stellen, sondern oberflächlich handeln. Die Uni züchtet so eine Elite von naiven Automaten heran. (..)  
Sadinam: Als ehemaliger Asylbewerber stellte ich dort natürlich eine Ausnahme dar. Aber für Diskussionen ist es doch eigentlich gut, wenn Menschen unterschiedlicher Meinung und Herkunft zusammenkommen. Dann merkte ich aber, dass es immer nur um Auswendiglernen und Geld ging. Dozenten sind vor den Jahrgang getreten und haben gesagt: Ihr seid hier, weil ihr reich werden wollt. Und unser Rektor sagte am ersten Uni-Tag: Ihr seid die Besten, ihr werdet dieses Land einst führen. Dieses Gefühl der Überlegenheit setzte sich im Laufe der Semester bei fast allen durch. Das führte zu Selbstgerechtigkeit und Arroganz.
KarriereSPIEGEL: Sie haben dann bei einer bekannten Unternehmensberatung gearbeitet. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass in der Branche Berater mit einem Praktikum bei Bertelsmann schon als Medienexperten verkauft werden. Wie viel Bluff gehört zum Beraterdasein? 
Herles: Jede Menge. Das ist aber so gewollt. Man verkauft die Perspektive des Außenstehenden, will aber gleichzeitig Industrieexperte sein. Schwierig in einer Branche, in der die meisten Menschen unter 35 sind. Woher sollen die Industrieerfahrung haben? Aber die Geblufften lassen sich zu gerne bluffen. Denn durch die Berater können sie ihre eigenen Hände in Unschuld waschen. (...) 
KarriereSPIEGEL: Welche Charaktere kommen ganz nach oben? 
Herles: Leistung ist in diesem System die einzige Religion. Wer das Risiko scheut, überlebt am besten. Die Leute sind ängstlich und brutal ehrgeizig, Statussymbole sind ihnen wichtig. Und man muss technokratisch veranlagt sein, sonst langweilen einen die Analysen und scheinrationalen Prognosen. 
KarriereSPIEGEL: Schlichte Typen also. 
Herles: Auf jeden Fall keine Menschen, die ich in Führungsrollen in unserer Wirtschaft sehen wollte. Daraus kann nur eine Gesellschaft entstehen, in der ich nicht leben möchte.
Ich auch nicht.

Psychopathen und Hochbegabte


Egomanische Narzissten mit ihrem aufgeblähten Ego, das jederzeit droht in sich zusammenzufallen, hassen Hochbegabte, weil sie Angst vor ihnen haben. Sie sehen in projektiver Realitätsverzerrung generell den ganzen Mitarbeiterstab nur als missgünstige Konkurrenten, die an ihrem Stuhl sägen wollen. Die Botschaft von jemandem, der einfach daher kommt und auf einer Sachebene sagt: "Dies hier könnte man optimieren, hier sehe ich einen Fehler" wird von Narzissten ausschließlich auf die persönliche Ebene reduziert als ein bösartiger, hinterhältiger Angriff auf das eigene Revier, der sofort abgestraft werden muss. Narzissten sind gar nicht in der Lage, auf Sachebene, auf Augenhöhe mit anderen zu kommunizieren. Hochbegabte wiederum projizieren ihre eigene, rationale Sachbezogenheit auf den Rest der Belegschaft und können nicht verstehen, wie man blindlings jahrelang immer wieder dieselben Fehler macht, in dieselben Fallen tappt, ohne das Problem an der Wurzel anzupacken. Sie verstehen diese ganzen pubertären, egozentrischen Machtspielchen und Statuskämpfe (mein Büro ist aber größer, ich habe eine eigene Assistentin, das ist mein Projekt, in das keiner hineinpfuschen darf) in den Wirtschaftsunternehmen einfach deshalb nicht, weil sie so vollkommen unter ihrem eigenen intellektuellen und menschlichen Niveau sind, weil sie selber nie auf so derart bornierte und destruktive Art ticken könnten, nicht mal dann, wenn es zu ihrem Jobprofil gehören würde. Im Arbeitsalltag erkennt man Narzissten übrigens zuverlässig an ihrem sinnlosen Email-Bombardement, ihre Botschaft lautet: "Ich bin da! Ich bin wichtig!" Narzissmus und Psychopathie gelten mittlerweile als Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg.
"Es kann sogar ganz schlimm kommen: Konzernkarrieristen sind übermäßig häufig gefährliche Irre. In den Führungsetagen von Unternehmen finden sich dreieinhalbmal so viele Psychopathen wie im Durchschnitt der Bevölkerung, wie Robert Hare, Psychologe und Forensiker aus Vancouver, und der New Yorker Unternehmensberater Paul Babiak durch Hunderte von Interviews herausgefunden haben." (Die ZEIT, "Irre erfolgreich: Wahnsinns-Typen", Nr. 34, 14.08.2013)
Vielfach begabte, sensible Menschen, die sich einen Rest von Selbstachtung und Würde bewahren wollen, sollten die private Wirtschaft meiden wie die Pest, denn sie werfen dort nur Perlen vor die Säue. Es erwarten sie Mobbing, Bossing, öde, sinnlose Aufgaben, schwachsinnige Regularien, Missachtung, Neid, Ignoranz, Borniertheit, Denunziantentum, extremste Formen von Schleimer- und Duckmäusertum, Verrohung, Scheinheiligkeit, Boshaftigkeit - die ganze Palette menschlicher Dummheit, Grausamkeit und Tücke, das komplette Verhaltensrepertoire des autoritären, sadomasochistischen Charakters. Das, was heute unter sozialer Kompetenz verstanden wird, hieß früher Heuchelei, Arschkriecherei, Intrigantentum - auch wieder eine Folge der konsequenten Negativ-Auslese und der dadurch entstandenen Kritischen Masse, die letztlich zur Norm umgedeutet wird. Für die bedauernswerten Frauen kommt noch ein mittlerweile völlig enthemmter männlicher Sexismus hinzu, tagtägliche Demütigungen, persönliche Angriffe, Sabotage, Schikanen, unverhüllter Hass. 

Egal, wo man hinschaut: Überall werden Querdenker, Quereinsteiger, sprich Menschen mit breiterer Lebens- und Berufserfahrung, mit entsprechend gereifter Persönlichkeit gnadenlos aussortiert oder ganz draußen gehalten, abqualifiziert, weggemobbt. Das hat etwas Hysterisches. Als ob das stromlinienförmige, eindimensionale, auf Konformität gedrillte fachidiotische Mittelmaß ahnt, dass es mit der Komplexität der Lebensverhältnisse, mit der Notwendigkeit des lebenslangen Hinzulernens, mit der Gegenwart an sich schlicht überfordert ist und auf Teufel komm raus einen ernsthaften Vergleich, eine Konkurrenzsituation verhindern will, koste es was es wolle, und sei es um den Preis der Überlebensfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn man die Definition der Psychologin Dr. Ida Fleiß (* 1935; † 2010) zugrunde legt – "Kreativität ist nichts anderes als die Fähigkeit, Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, zu kombinieren. Dazu gehört die Fähigkeit, Dinge völlig unvoreingenommen zu betrachten und sich vom Korsett herkömmlicher Denkmuster zu lösen." - dann ist Kreativität in der deutschen konformitätshörigen Unternehmenskultur so gut wie ausgeschlossen.

Man sehe sich nur einmal den Wasserkopf der Arbeitsorganisation an, in Verwaltung und Controlling. Warum ist das so? Warum wird in vielen deutschen Konzernen die meiste Zeit damit verbracht, über die Arbeit zu reden, als sie konkret zu verrichten – und sich dann an ihren Ergebnissen, am Output messen zu lassen? Um die eigene Unfähigkeit und Inkompetenz zu maskieren? Um eine Bühne für all die extravertierten Selbstdarsteller, Laberköpfe und Blender zu haben, die sich beim Chef einschleimen und dabei ihre Konkurrenten anpinkeln wollen – und die eitlen Chefs und Chefinnen selber, die dieses Affentheater genießen, sich geschmeichelt fühlen von all diesen Kriechern, die in pubertärer Schulklassenmanier "ich will auch mal was sagen" den Finger recken, um eine bessere Note zu bekommen? Dumm quatschen kann jeder, nicht jedoch 8, 9 oder 10 Stunden hochkonzentriert arbeiten. Deshalb werden die wenigen Leute, die dies noch können, ohne dabei Zuflucht zu Drogen oder Ritalin nehmen zu müssen, systematisch aus den Unternehmen gejagt. Das kranke System reproduziert sich laufend selbst.

Wer sich in den Online-Foren zu den Themen Arbeitswelt aufmerksam umschaut, wird immer wieder feststellen, dass die Kommentare mit ihren Erfahrungsberichten wahre Fundgruben sind, denn sie offenbaren schonungslos alles: den Neid und die Missgunst der Mittelmäßigen oder sonstwie zu kurz Gekommenen, die Verzweiflung des Hochbegabten, der sich ständig für seine Direktheit und Problemlösungsorientierung rechtfertigen muss,
34.(...) Ich weigere mich nur, offen zu lügen, zu intrigieren, zu machtkämpfeln, zu banalisieren. Alles was ich will, ist schwierige Probleme zu lösen und das rund um die Uhr. Man muß mich nur lassen, und genau das ist das Problem.
die ganze unfassbar rückständige, ignorante, verlogene und letztlich ineffiziente Kriecher-Mentalität der deutschen Arbeitswelt. Lieber 10 Luschen bezahlen als einen unbequemen Hochleister, der dem deutschen Mittelmaß insbesondere auf den Chefsesseln fachlich auf den Schlips treten könnte. Dieser Erfahrungsbericht ist beileibe kein Einzelfall:
7. ...und die deutschen Ausrufezeichen...
Ich war aus einem anspruchsvollen, mehrjaehrigen Auslandsjob wieder zurueck nach Deutschland gekommen. Keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. 80 Bewerbungen, oftmals nicht einmal eine Absage, in manchen Faellen kam die Absage schneller als ich die Bewerbung verschicken konnte. Das Arbeitsamt konnte mir nicht weiterhelfen, da die gar nicht wussten, wie sie mich einordnen sollten. "Sie haben ja schon mal gut verdient.." war der Kommentar nach Ende des Jahres. Es klang wie: "gehen Sie halt in Fruehrente. Mit Hochqualifizierten koennen wir in Deutschland nichts und hier im Arbeitsamt noch viel weniger anfangen. Und wollen auch gar nicht.". Die meisten Absagen, die ich in dieser Zeit bekommen habe waren nach gutdeutscher Manier herablassend formuliert. Inhaltlich Schrott, aber mit dem dummdeutschen Ausrufezeichen am Ende. Bei einer Berufsveranstaltung bin ich schließlich in den Kontakt einer Bausparkasse gekommen. Voellig fachfremd, aber immerhin. Schliesslich der Individualtermin im Assessment Center. Keine Schwierigkeit, doch zeigte man sich irritiert, dass mein Lebenslauf auf Englisch war. "Man habe es schliesslich nicht so mit dem Englischen" (Firma mit 40 000 Beschaeftigten). Aus dem off kam dann eines nachts eine mail einer kanadischen Firma. die suchten Kanadier und Nichtkanadier vom Rest des Planeten in der Mitte und am Ende der Karriere fuer UN und andere internationale Positionen. Jetzt arbeite ich eben bei der UNO. Und die deutschen Ausrufezeichen koennen mich mal.

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Das Stellwerkdesaster in Mainz ist der vorläufige Höhepunkt einer 30jährigen Abwärtsspirale: Arbeitskräfte ausquetschen, Arbeit verdichten, einer muss leisten, was früher auf zwei oder drei Schultern verteilt werden konnte, Vollzeitstellen wegrationalisieren, durch Leiharbeit und Werkverträge ersetzen - alles nur, um den Shareholder Value mit Gewalt nach oben zu treiben.

Wie will ein Unternehmen auf seinem Markt überleben, wenn fast alle Mitbewerber mit unlauteren Mitteln, mit Bestechung und Betrug, mit Lohndumping, mit Pfusch am Produkt arbeiten, weil sie auf andere Weise ihre von abgehobenen Vorständen diktierten Umsatzziele nicht mehr erreichen? Wie dagegen halten? Wie will ein ehrlicher leistungsbereiter Mitarbeiter sein Soll erfüllen, wenn er von allen Seiten genau aus dem Grunde angefeindet wird? Wenn der Rest der Belegschaft sich nur mit Aufputschmitteln über den Tag rettet, delegiert, schleimt, buckelt, kriecht, denunziert, blendet? Wie soll man mit der schizophrenen double-bind-Situation fertig werden, dass man einerseits jahrelang perfekt zu funktionieren hat, andererseits aber bitte schön nie qualifizierter, perfekter sein darf als sein unmittelbarer Vorgesetzter? Dass man sich gefälligst den Strukturen anzupassen hat, gleichzeitig aber Eigeninitiative zeigen, Ideen einbringen soll, über den Tellerrand schauen, "mitdenken" soll? Man soll selbstständig arbeiten und nicht wegen jeder eigenen Entscheidung Rücksprache halten, um die kostbare Arbeitszeit der Führungsebene nicht zu verschwenden, aber gefälligst nicht zu selbständig, denn dann fühlt sich dieselbe Führungsebene womöglich überflüssig. Eine Gratwanderung zwischen überzogenen Ansprüchen der Personaler und der Führung einerseits und die Erfüllung kleinkarierter, geltungssüchtiger Bedürfnisse von Mitarbeitern und Vorgesetzten. Ein Minenfeld, eine schizoide, perverse Situation, die auf Dauer nur wieder gespaltene, gebrochene Mitarbeiter hervorbringt.

Wenn jemand sein Tagessoll in 8 Stunden oder weniger schafft statt in 10 oder 12 plus Wochenende, gilt er heute als Drückeberger. Die Quantität der Präsenzzeiten gilt heute als Maßstab für Arbeitsqualität. Hier ist im Schulterschluss mit den Arbeitgeberlobbys und der Geräteindustrie eine gigantische Selbstbetrugsmaschine am Werk, die versucht, tagtäglich exerzierte Mittelmäßigkeit und Inkompetenz, Faulheit und Unfähigkeit zur Selbstorganisation zu verschleiern. Schwammigste Vertragstexte und Arbeitsplatzbeschreibungen tragen ihren Teil dazu bei, dass Leistung heute gar nicht mehr definiert werden kann. Das Idealbild ist die 24-Stunden-Verfügbarkeit, die eierlegende Wollmilchsau, der devote Arbeitssklave, Spezialist und Generalist in einer Person, dem in keiner Weise gewerkschaftlich oder sonstwie der Rücken gestärkt werden kann - interessanterweise ein Ideal, das von dem tatsächlich vorhandenen Qualifikationsprofil der Entscheider und Personalverantwortlichen in der Regel meilenweit entfernt ist.

Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als es für viele Berufe, auch in der Dienstleistungsbranche, tatsächlich noch so etwas wie ein Berufsethos gab. Ehrlichkeit, Transparenz, Glaubwürdigkeit, nach außen wie nach innen. Es kommt auf den Inhalt an, nicht auf die Verpackung. Der Kunde ist König. Was erlebe ich heute? Eine Spielwiese für Blender und Schaumschläger. Systematischer Kundenbetrug. Mobbing und innere Kündigung. Umstrukturierungen am Fließband als Beschäftigungsmaßnahme für parasitäre "Berater". Verlogene, selbstbeweihräuchernde Unternehmensleitbilder, die mit dem Betriebsalltag nicht das Geringste zu tun haben. Ein kopfloses Management, das jedem schwachsinnigen Hype hinterher hechelt. Mitarbeiter werden wie Nutzvieh behandelt: junge Nachwuchskräfte hemmungslos verheizt, verdiente Mitarbeiter für schlachtreif erklärt, wenn sie häufiger als zwei Tage im Jahr krank sind und 40 Lenze überschritten haben.

Um einmal ein konkretes Beispiel zu nennen, unter welchen perversen Bedingungen die Arbeitnehmer zu funktionieren haben: Eine Krankenschwester berichtet aus ihrer Klinik, dass die Stationsschwester den Krankenschwestern einschärft, Ampullen und dergleichen immer vor Zeugen zu etikettieren, nie allein. Grund: Kolleginnen kleben absichtlich falsche Etiketten auf, um der Kollegin einen Behandlungsfehler unterzuschieben. Das ist kein Mobbing mehr, sondern vorsätzlich kriminelles Verhalten. Ob Patienten durch diese Sabotage zu Tode kommen, scheint in dieser Arbeitshölle offenbar Nebensache.

So ist über die Jahre und Jahrzehnte eine Kettenreaktion in Gang gesetzt worden, ein selbstverstärkender Prozess, eine Abwärtsspirale zum kleinsten gemeinsten Maßstab, die nicht mehr gesteuert oder gar rückgängig gemacht werden kann. Das Ende dieser Entwicklung ist erst erreicht, wenn alle Betriebe auf das unterste Niveau heruntergefahren sind, wenn der letzte Hochleister systematisch weggemobbt worden ist, wenn alle Mitarbeiter zu willenlosen Duckmäusern und amoralischen Zombies mutiert sind. In der Masse der Blender und Vollidioten gehen die wirklich Guten unter, werden nicht mehr wahrgenommen. Das kranke System wird noch ein paar Jahre vor sich hin faulen und dann endlich kollabieren.

Eine Wirtschaft, die nur noch durch Kunden-, Bilanz- und Abrechnungsbetrug, durch Korruption, Lohndumping und Kartellbildung, durch geplante Obsoleszenz Gewinne einfahren kann, ist de facto nicht mehr wettbewerbsfähig.

Arbeit und insbesondere Lohnarbeit ist in Deutschland zu einer Ersatzreligion geworden. In dem Maße, in dem die langjährigen sozialversicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnisse verschwinden, hat sich ein monströser Wasserkopf aufgebläht aus parasitären Dienstleistern wie Outplacementberatern, Coaches, Karriereplanern, Selbstoptimierern, Weiterbildungsexperten, Trainern, Dozenten für Erwachsenenbildung, um den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber herum, als die beiden Pole, um die das ganze öffentliche und private Selbstbild wie besessen kreist und stiert. Hier wird ein Fetisch angebetet. Die Frage, ob und wenn ja, welche Arbeit wird stilisiert zu einer Existenzfrage auf Leben und Tod. Der Popanz wird aufrechterhalten, genährt und gefüttert von der Politik, von der Großindustrie und den von ihnen instruierten Medien, um die Menschen manipulierbar und gefügig zu halten, um von der Infragestellung des Glaubenssystems abzuhalten. Die Menschen müssen beschäftigt, d.h. vom Nachdenken, Hinterfragen abgehalten werden, egal wie und so lange wie möglich, am besten bis kurz vor ihrem Ableben. Es sind Verfalls- und Auflösungserscheinungen einer Zivilisation, eines kulturellen Selbstverständnisses - was bist du? Ich bin Architekt, ich bin Bäcker, ich bin Stilberater -, die wir hier erleben können, ein krampfhaftes Festhalten an einem Arbeitsbegriff, der schon seit über 20 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist, ein Trugbild, dem die besessenen Menschen mittlerweile sogar ihre eigenen Kinder opfern. Kopflos und kindisch klammert man sich an die kümmerlichen Reste der protestantischen Arbeitsgesellschaft. Tatsache ist jedoch: Das Leben ist mehr als 10, 20, 40 Jahre Lohnarbeit. Jeder Mitarbeiter im Bullshitjob ist ersetzbar. Absolut jeder. Auch die Führungskräfte. Im Gegensatz zu den Menschen, die eine sozial wichtige, sinnvolle, kreative Tätigkeit verrichten, sind Bullshit-Jobber ersetzbar durch Maschinen, ersetzbar durch andere Bullshit-Jobber. Der inhärente Wachstumszwang des Waren- und Finanzkapitalismus vernichtet täglich mehr Jobs als er neu hervorbringen kann. Hinzu kommt: Arbeit ist gerade in Deutschland nicht nur billig, sondern zu billig. Das ist der Grund dafür, dass Arbeitnehmer wie Nutzvieh behandelt werden. Was man zu billig bekommt, kann man nicht achten und wertschätzen.

Vor diesem Hintergrund können die Ergebnisse der diesjährigen Gallup-Studie nicht überraschen: 
"Deutsche Arbeitnehmer sind nur wenig an ihren Arbeitgeber gebunden: Fast ein Viertel (24%) der Beschäftigten in Deutschland hat innerlich bereits gekündigt. 61% machen Dienst nach Vorschrift. Nur 15% der Mitarbeiter haben eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber und sind bereit, sich freiwillig für dessen Ziele einzusetzen. Das ist das alarmierende Ergebnis des Gallup Engagement Index 2012, den das Beratungsunternehmen am 6. März in Berlin vorgestellt hat. (...)  Die Ursachen für geringe emotionale Mitarbeiterbindung lassen sich in der Regel auf Defizite in der Personalführung zurückführen."
Die Ursachen für dieses desaströse deutsche Ergebnis sind - wir haben es ja bereits andernorts festgestellt - Führungsinzest und "Verachtungskultur", persönlichkeitsgestörte Chefs und Chefinnen. Sie sind konkreter Ausdruck einer tiefen Gratifikationskrise in den Unternehmen, wo Anforderungen an Mitarbeiter ständig weiter hochgeschraubt werden ohne Gegenwert und Wertschätzung. Hinzu kommen noch die deutsche nationale Borniertheit, die fehlende interkulturelle Kompetenz, der starre autoritätsgläubige Konformismus. Als Folge davon entstehen nicht nur extreme volkswirtschaftliche Kosten, auch die Innovationskraft bleibt auf der Strecke. Welcher Mitarbeiter ist denn so blöd und bringt seine Optimierungs-Ideen ein, wenn das Management seine Vorschläge und die anderer Kollegen völlig ignoriert oder sogar als eigenen Geistesblitz ausgibt, um sich damit bei der Geschäftsführung zu profilieren? Ich selber habe das jedenfalls mehrfach erlebt. So wird das nichts mit dem Standort Deutschland.

Im Interview mit dem Online-Portal changeX kommt Tobias Leipprand, Vorstandsmitglied der "stiftung neue verantwortung", einem gemeinnützigen und unabhängigen Thinktank in Berlin, zu folgender Einschätzung:
"Was bedeutet Führung in einer komplexen und zugleich unvorhersehbaren Situation? 
Zunächst wissen wir, was sie nicht mehr bedeutet. Führung heute bedeutet nicht mehr das klassische Von-oben-nach-unten-Durchregieren. Autorität und Führung sind heute nicht mehr gleichzusetzen. Command and Control ist nicht mehr akzeptiert. Gerade die jungen, talentierten Mitarbeiter, um die Unternehmen buhlen, sind überhaupt nicht mehr bereit, sich auf der autoritären Schiene Anweisungen geben zu lassen. Sie wollen Freiheit und Freiraum zur Entfaltung. Zentrales Ergebnis unserer Studie ist, dass Führung im 21. Jahrhundert sich ganz klar unterscheiden muss von dem, wie wir sie bisher praktiziert haben. Wir sind in Deutschland hier noch sehr weit hinterher."

Hardcore Humanismus


Eine der größten Schaumschläger-Biotope scheint mir inzwischen das Personalwesen, neudeutsch Human Resources, oder kurz HR zu sein. Man sehe sich nur den Hype um Psycho- und Persönlichkeitstests an. Früher reichten Menschenkenntnis, Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen, um zu erkennen, wie Menschen ticken. Heute muss es ein zertifizierter, angeblich wissenschaftlich basierter Test sein. Was hier stattfindet, ist extremste Vereinnahmung menschlicher Individualität unter dem Diktat der größtmöglichen Verwertbarkeit. Es geht nur noch darum, ein Leistungspotenzial maximal abzuschöpfen. Um nichts anderes. Drei Tage Ausbildung reichen aus, um sich "Reiss Profile Master" nennen zu dürfen: "Die dreitätgige Ausbildung zum Reiss Profile Master berechtigt zum professionellen Umgang mit dem Reiss Profile, zum Beispiel in der Personalentwicklung oder dem Coaching." heißt es auf der Website des Anbieters (der Fehler in "dreitätgige" wurde von der Website unverändert übernommen). Und ein weiteres Zitat, bei dem sich jedem, der mit der Begriffsgeschichte des Humanismus vertraut ist, die Nackenhaare aufstellen:
"Das Reiss Profile ist Hardcore Humanismus, der auf Leistung zielt!"
Peter Boltersdorf, Gesellschafter Reiss Profile

Na toll. Das Ganze ist eine einzige riesige Verarschung von gerissenen Geschäftemachern für vollkommen verblödete Personaler, deren Hilflosigkeit und Inkompetenz offensichtlich ist, die mit diesen Tests ihre Verantwortung einfach an externe Beratungsdienstleister outsourcen wollen.

Die Paradoxie all dieser Persönlichkeitstests besteht darin: Größtmögliches Bestreben, den ganzen Menschen, nicht nur seine angelernten Fachkenntnisse, für ein Unternehmen nutzbar, verwertbar zu machen, bei gleichzeitig schrumpfenden, immer genormteren, engeren Routine- Anforderungsprofilen. Die Tatsache, dass sich Persönlichkeiten, Einstellungen, Werte aufgrund von Lebensumständen verändern, wird völlig ausgeblendet. Ebenso, dass ein entsprechend geschulter Testteilnehmer die "richtigen" Antworten jederzeit faken kann. Man erkennt am Test-Hype auch, dass es im HR auf rein fachliche Qualifikation längst nicht mehr ankommt, wohl weil die Personalverantwortlichen selber gar nicht mehr wissen, worin die im einzelnen bestehen sollte. Die Anforderungsprofile selber sind nicht mehr klar definiert. Es offenbart sich auch der Irrglaube, es gäbe so etwas wie den perfekten Mitarbeiter, die eierlegende Wollmilchsau. Auf dessen Privatleben, Sehnsüchte, Träume glaubt man einen Anspruch zu haben, ein unbeschränktes Nutzungs- und Zugriffsrecht. Die Trennung von Privatleben und Berufswelt ist aufgehoben. Es zeigt sich hier auch die deutsche Ur-Angst vor Fehlern, vor struktureller Unsicherheit und Interpretationsspielräumen, vor Freiheit der Entscheidung, die Spießermentalität des sich Wegduckens und devoter Unterwerfung an "Experten", das Festklammern an "wissenschaftliche" Regeln und Normen, an scheinbare Quantifizierbarkeit, 

an Zahlen, die dogmatische Forderung nach Eindeutigkeit.Hinzu kommt dann noch ein extremer cultural bias, eine kulturelle Blindheit, da so gut wie alle Persönlichkeitstests von (männlichen)  "Experten" aus dem anglo-amerikanischen oder europäischen Wirtschaftsraum erarbeitet und entsprechend auf der abendländisch-christlich-protestantischen Arbeitsethik beruhen.

Der derzeitige Hype im Arbeitsmanagement um Gefühle, um Intuition und Bauchentscheidungen soll von dem Umstand ablenken, dass der Verstand für heutige Entscheidungsprozesse zu langsam ist. Es sind Rechtfertigungsversuche für die Vorherrschaft des Reptilienhirns. Die Unmittelbarkeit, das Hereinbrechen des Ungeplanten, Unplanbaren, auch in Verbindung mit körperlichen Reaktionen, suggeriert Echtheit. Gefühle überwältigen den Einzelnen, affizieren sofort das Gegenüber und schaffen sichtbare Fakten. Die Verstandestätigkeit, die kritische Reflexion ist unsichtbar, langwierig, anstrengend und kostet vor allem Zeit. Schon allein aufgrund letzterer Eigenschaft steht sie heute vor dem Verschwinden.

Virtual Assistants und andere Hypes


Ich habe mir den Bestseller von Timothy Ferris "The 4-Hour Workweek" gekauft, wie so viele andere, die auf der Suche nach Alternativen zum Nine to Five Job sind. Ferris nutzt die Sehnsucht der meisten Menschen aus, das Hamsterrad der Lohnabhängigkeit zu verlassen. Sein ganzes Konzept basiert aber wieder vollständig auf Ausbeutung anderer, auf Outsourcing, auf prekären Arbeitsverhältnissen, auf Einkommens- und Währungsunterschiede in der globalisierten Wirtschaft. Der Eckstein seines Konzepts ist der VA, der Virtual Assistant, der virtuelle persönliche Assistent, vorzugsweise aus Indien oder China. Oder auch gleich ein kompletter externer virtueller Bürodienstleister. Ferris ist begeistert über die tollen Möglichkeiten dieser grenzüberschreitenden Delegation von Aufgaben:
 "Es geschehen tatsächlich lustige Dinge, wenn man harte Dollars verdient, seinen Lebensunterhalt mit Peseten bestreitet und Arbeitsleistung mit Rupien bezahlt (...)." 
Ganz richtig. Es bleibt aber nur solange lustig für Ferris & Co., wie die Globalisierung, die Ausbeutung der Billiglohnländer zugunsten der entwickelten Welt, sich weiter durch die Nationen dieser Welt frisst wie ein Geschwür.
"Vor allem Frauen machen den Job. Der Stundenlohn unterscheidet sich je nach Gehaltsniveau im Heimatland. Mitarbeiterinnen in den USA bekommen 8 Euro, Katja Bartkowska aus Polen dagegen nur 6,50 Euro. (,,,)  Maas' Verhältnis zu Bero ist trotzdem äußerst nüchtern: "Für mich ist er eine Ressource. Das klingt gemein, aber dafür bezahle ich ihn." (ZEIT online: "Outsourcing. Sekretärin zu vermieten", 01.03.2013)
Frauen, logisch, wer sonst. Und für diesen Dumpinglohn müssen sich die VA's auch noch selber versichern.

Noch so ein Hype: Cloudworking. Auch wenn die Absichten hinter dieser Idee noch so ehrenhaft sind – es ist ein Grundprinzip der menschlichen Verkommenheit und Borniertheit, jede technologische Innovation immer und ständig zu ungunsten der Mehrheit, d.h. der davon negativ Betroffenen und zu Gunsten der Minderheit der Nutznießer zu pervertieren.

Das goldene Kalb des Teamworking, um das immer noch ein Voodoozauber aufgeführt wird wie in alten Zeiten die Schamanen, ist auch ein Beispiel der schleichenden Verlagerung sämtlicher Verantwortung von der oberen Managementebene (und für eben diese Verantwortung werden diese Leute schließlich bezahlt, wofür denn sonst) auf die untergeordneten Mitarbeiter, also ausgerechnet auf diejenigen mit eingeschränkten Befugnissen, Handlungsspielräumen und Informationsstand. Teams 
entlasten die Führungsebene von Verantwortung (die diese sonst selber tragen müsste), und das denkbar kostengünstig, denn die dem Team aufgeladene Verantwortung wird nicht entlohnt, sondern das Geld bleibt ungerechtfertigterweise beim Vorgesetzten. Eine perfide Strategie, um den Kopf nicht für Fehlentscheidungen herhalten zu müssen. Im Zweifelsfall ist ja das Team schuld. Zweitens ist ein Team die perfekte Tarnkulisse für den überhandnehmenden low performer, der von den anderen mitgezogen werden muss, und für den Karrieristen, der das Team als Trittleiter missbraucht. Teams sind das ideale Werkzeug, um reale Inkompetenz zu verschleiern, die bei einer Einzeltätigkeit sofort aufgrund des individuellen Fehleraufkommens eindeutig dem Verursacher zugerechnet werden kann.


Employee Assistance Program


Mittlerweile gibt es professionelle Agenturen wie "Insite Interventions", die für Wirtschaftsunternehmen eine Art Notfallseelsorge anbieten. Mitarbeiter, die nicht mehr reibungslos funktionieren, können dort anrufen und sich von einem Team aus freien und fest angestellten Psychologen beraten lassen. Der Soziologe Götz Eisenberg kommentiert folgendermaßen:
"Der Bericht ist ein Lehrstück über die Aufgabe, die der Psychologie im System des „flexiblen Kapitalismus“ (Richard Sennett) zugewachsen ist. Menschen, die bloß noch als Mittel fremder Zwecke fungieren und sich dabei psychisch und körperlich derart verausgaben, dass sie zu zerbrechen drohen, sollen bei der Stange gehalten werden. Statt in ihrem drohenden Kollaps ein stummes Nein des Körpers gegen unzumutbare Arbeits- und Lebensverhältnisse zu sehen und den Menschen dabei zu helfen, ihre unbewusst-psychosomatische Revolte auf den politischen Begriff zu bringen und in bewussten Widerstand zu transformieren, wird das Rad, das abgesprungen ist, wieder an den Wagen montiert. Dessen Fahrtrichtung und Tempo werden nicht in Zweifel gezogen, die Zumutungen der im Namen des Shareholder Value deregulierten und zur Kostensenkung verschlankten Arbeitswelt werden nicht hinterfragt. (...) Eine Kette von Spezialisten umspannt die Gesellschaft, deren Aufgabe es ist, Konflikten vorzubeugen, Unruhe abzuwenden, Dissens zu entschärfen und die an den Verhältnissen verzweifelnden Menschen ins System zurückzubetrügen." (magazin-auswege, Götz Eisenberg: "Über die Psychologisierung und Medizinisierung sozialer Konflikte", 19.01.2013)
Die Krankheit wird zum Versagen des Einzelnen umgedeutet, anstatt sie als das anzuerkennen, was sie ist: Kritik an den kranken Verhältnissen. In einer guten und gerechten Arbeitswelt und Gesellschaft besteht gar kein Bedarf für Therapeuten, Psychiater, Klinken, Reha-Maßnahmen, Drogen und Psychopharmaka. 

Für den Arbeitswissenschaftler Wolfgang Hien steht fest: Hinter dem Faktum der steigenden Lebenserwartung zeigen sich Konturen einer massiven sozialen und gesundheitlichen Polarisierung. Geringes Einkommen und schlechte Wohn- und Arbeitsbedingungen führen in Deutschland - gemessen am gehobenen Bürgertum - zu einer um 10 Jahre verkürzten 
Lebenserwartung.

Die Wirtschaftsunternehmen fordern von ihren Mitarbeitern die Quadratur des Kreises. Dauerhafte Höchstleistungen ohne angemessene Gratifikation, fulltime Verfügbarkeit, und dann soll der Mitarbeiter das alles auch noch ganz toll finden und bei der Arbeit dauergrinsen.
Psychopathische Manipulationsstrategien wie das gezielte Gegeneinander ausspielen, aufeinander hetzen von Kollegen, teilen und herrschen, tun ihr Übriges, um aus einem Arbeitsplatz, der vormals lediglich dazu diente, den Lebensunterhalt sicherzustellen, einer Kampfzone zu machen.

Die Spezifika der heutigen Arbeitswelt sind permanent hoher Leistungsdruck, hoher Termindruck, Beschleunigung, Anpassungsbereitschaft (Schichtdienst, Arbeitszeit und -ort), hohe Anforderungen bei geringem Handlungsspielraum, was zwangsläufig negativen Stress auslöst. Hinzu kommt ständige Angst um den Arbeitsplatz, keinerlei Verlässlichkeit mehr, keine individuelle Lebensplanung mehr möglich. Dauerhafter "isolierter" Stress im Job steigert das Depressionsrisiko im Vergleich zu weniger belasteten Personen auf das fast sechsfache.

Loyalität ist heute eine vollkommen einseitige Angelegenheit: Der Arbeitgeber fordert sie vom Arbeitnehmer ein, fühlt sich seinen Mitarbeitern gegenüber aber nicht mehr zur Loyalität verpflichtet. Immer neue Managementstrategien, ständig neue Konzepte und Umstrukturierungen: Das "Change-Management" ist die "Kunst", die Mitarbeiter dazu zu bringen, die schädigenden Arbeitsbedingungen und ihre eigene totale Fremdbestimmung als normal und richtig zu akzeptieren. Mitdenkende, kritische Mitarbeiter sind ein rotes Tuch für die Führungskräfte. Vervollständigt wird das totale Arbeitsregime schließlich durch das Abschneiden der Kompensationsräume, in denen die Akkus aufgeladen werden können, durch den Zwang zur Mehrarbeit, durch fehlende oder schwache soziale Bindungen und Vereinzelung und durch die konsequente Abwertung des Erfahrungswissens von älteren Arbeitnehmern.

Zum Schluss ein längeres Zitat von Prof. Dr. Thomas Friedrich (Grafiker, Philosoph, Politologe, Volkskundler)  aus seinem Vortrag "Muße und Kontemplation. Eine vergessene Form der Arbeit" im Rahmen des Inselsommers 2008 in Ludwigshafen, in dem der Mechanismus des heutigen "Arbeitsregimes" präzise auf den Punkt gebracht wird.
"Anders gesagt, läßt sich die bestehende Wirtschaftsform, die auf Gewinnmaximierung fußt, heute nur noch durch massive staatliche Eingriffe am Leben erhalten. Wir haben längst die äußerst problematische und paradoxe Form eines repressiven Staatssozialismus zum Zweck privatwirtschaftlicher Gewinnmaximierung. (...)
Zugespitzt formuliert, hat man heute zu wählen zwischen der Armut durch extrem schlecht bezahlte Arbeit oder der durch Arbeitslosigkeit. Doch diese beiden Formen der Armut bleiben im kapitalistischen Funktionszusammenhang. Die Arbeitslosen, von Marx als Reservearmee bezeichnet, haben lohnsenkende Funktion, die dann die working poor zu spüren bekommen. Beide Formen der Armut stabilisieren die Wirtschaft, helfen sie doch den Unternehmen dabei, die Produktionskosten zu senken. (...)
Demokratie ist heute weniger durch Verweigerungen von unten, wie niedrige Wahlbeteiligungen, gefährdet, sondern durch demokratiefeindliche Maßnahmen von oben: Wir haben in dieser Hinsicht tendenziell bereits wieder feudalismusähnliche Verhältnisse. Die Staatsbürgerdemokratie transformiert tendenziell zur Eigentümerdemokratie. (...) 
Der wahrhaft glückliche Mensch wäre heute eine Katastrophe. In aktueller Terminologie ausgedrückt, würde er sowohl als Produktionsfaktor, als auch als Konsumfaktor ausfallen. Unsere heutige Wirtschaft wäre am Ende. Insofern ist die Verhinderung glücklicher Menschen die zentrale Aufgabe unserer heutigen Gesellschaft. Unglücksproduktion als wirtschaftliche Überlebensstrategie ist die aktuelle gesellschaftliche Basis. Millionen von Menschen sind mit nichts anderem beschäftigt, als Unglück zu schaffen und auf Dauer zu setzen und genau weil sie darin erfolgreich sind, werden sie gut bezahlt. Wer wahrhaftes Glück schafft, fliegt raus. (...) 
Die mit der Moderne verbundene entfremdete Arbeit macht die Menschen mittlerweile krank. Das Burn out Syndrom und der Workaholic sind die zwei Seiten der gleichen Medaille, nämlich die der unerträglich gewordenen Arbeit. Dem einen verweigert sich der Leib, so wie er nur arbeiten möchte, der andere arbeitet sich zu Tode. Noch nie waren Glück und Arbeit so weit auseinander wie jetzt am Ende der Moderne. Anpassung an die bestehenden Verhältnisse lohnen sich nicht mehr. Die Geldentschädigung, die man dafür bekommt, ist mittlerweile minimal, verglichen zum zugefügten Schaden. (...) 
Anders formuliert: der heute Arbeitslose nutzt, verständlicherweise, weil ihn die Sorge um die materielle Sicherung zu sehr bedrängt, nicht die Möglichkeiten, die er trotz der schwierigen Situation hat. Und viele Arbeitende leiden so sehr unter ihrer Arbeit, daß der Neid gegen den Arbeitslosen so durchschlägt, daß sie den Arbeitslosen am liebsten in Arbeitslager stecken möchten – nach dem Motto, dem soll es genau so schlecht gehen wie mir.Beide, der Arbeitende und der Arbeitslose, werden betrogen, der eine ist blind für seine Chance, der andere muß lieben (die Arbeit), was er im Grunde haßt."
Arbeit unter heutigen Bedingungen ist de facto eines der größten Gesundheitsrisiken. Der globale Druck wird nach unten weiter gereicht. So lange, bis der Krug bricht.

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