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Donnerstag, 26. September 2013

Beste Kontakte


"Nicht der beste Bewerber bekommt den Job... sondern der mit den besten Kontakten."
XING - das professionelle Netzwerk



Namib-Wüste
Das oben genannte Zitat ist ein Werbespruch vom Karrierenetzwerk XING, der mir mal als GoogleAd aufgefallen ist - ein völlig ungeniertes Bekenntnis zur Klüngelwirtschaft. Leider habe ich es versäumt, rechtzeitig einen Screenshot zu machen. Mittlerweile hat das Netzwerk die Werbung anscheinend zurückgezogen, sie war ihr wohl selber schon zu peinlich geworden.

Nepotismus, Filz und Klüngel regiert in der Wirtschaft, genauso wie in der Politik. "Stallgeruch", verwandtschaftliche Beziehungen, das Parteibuch entscheiden über Job und Aufstieg oder Arbeitslosigkeit. Universitäten, Burschenschaften, Privathochschulen sind Kaderschmieden für den Elite-Nachwuchs. Die Vereinsmeierei hat in Deutschland Tradition.

Als schlagendes Beispiel möchte ich hier die Hamburger Akademie für Kommunikationsdesign und Art Direction anführen, die eine private Ausbildung anbietet. Die Jahresgebühren betragen 5.040 Euro. Für diese Ausbildung wird künstlerische Begabung als irrelevant betrachtet: "Die üblichen Vorzeigemappen sind aus gutem Grund nicht gefordert, da diese auf Feststellung künstlerischer Begabung abheben, die für diesen Beruf ohne Belang ist." (Zitat von der Homepage). Hier einige Auszüge aus dem Absolventen-Forum:
XXXX, Art Director Werbeagentur BBDO, Hamburg: >Meinen Traum San Diego habe ich noch nicht aufgegeben; inzwischen in den großen Agenturen Ammirati Puris Lintas, McCann-Erickson und Jung von Matt gearbeitet, nun schon lange bei BBDO. Habe während der Jahre überall viele ehemalige Kommilitonen aus der Hamburger Akademie getroffen. Es gibt immer wieder eine Menge aus alten Zeiten zu erzählen. YYYY war auch ein paar Jahre hier AD; er ist jetzt Freelancer, ZZZZ ist Senior Texter und lässt grüßen. Schön war’s und gut!< 
AAAA, Layouterin beim Otto-Versand, Hamburg: >Nach den Jahren als Angestellte in der Design-Agentur Promar, bei der Lintas-Service AG und beim Otto-Versand und  arbeite ich nun weiter online als Freelancerin für Otto. Meine Nachfolgerin ist BBBB, auch von der Akademie. CCCC und DDDD habe ich auch dort wieder getroffen. Allerherzlichst!.< 
EEEE, Layouter, Reporter und Fotograf bei Gruner+Jahr, Redaktionen Essen und Trinken und Buchproduktion, Hamburg: >Auch das Angebot als Art Director bei Olivier konnte mich nicht von G+J weglocken, wo ich immer viele Studiker-Kollegen aus der Hamburger Akademie treffe: FFFF bei Essen und Trinken, GGGG bei Brigitte, HHHH und IIII bei Woman, JJJJ bei Young Miss, KKKK bei Geo und noch ein paar andere, auch LLLL. Wir hören uns und bis dann.< 
MMMM, Art Director und Head of Design bei Scholz & Friends, Hamburg: >Ganz neu: inzwischen habe ich einige internationale Awards bekommen, Art Directors Club Deutschland, New York Festival, Cannes Festival. Bin zum Head of Design ernannt worden. Komme gern wieder vorbei, um den Youngstern aus der Praxis zu erzählen, herzlich bis dann. Hier bei Scholz liefen und laufen etliche Leute aus der Akademie herum: OOOO, PPPP, QQQQ, RRRR, SSSS, TTTT, UUUU (Creativ Direktorin), man ist unter einander. Fahre jetzt zum Fotoshooting für drei Wochen nach München.< 
VVVV, Creativ Director Werbeagentur Krabiel & Liedtke, Hamburg: >Wir greifen gern auf die Absolventen der Akademie zurück, zur Zeit arbeiten bei uns WWWW, XXXX und YYYY. ZZZZ war auch bis vor kurzem dabei, hat aber gewechselt. Grüße von allen und auf bald wieder.<
Ich denke, das Prinzip des Netzwerkens wird an den oben genannten Beispielen mehr als deutlich. Ein anderes Beispiel für Seilschaften ist die Giordano Bruno Stiftung, wenn man sich die Häufung der Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter mit Bezug zu Trier ansieht:
- Gründer Herbert Steffen, ehemals Mitglied des Diözesanrates der Diözese Trier
- Mitarbeiter Florian Chefai studiert seit 2010 Philosophie und Soziologie an der Universität Trier. 
- Elke Heid studierte Psychologie an der Universität Trier.
- Frank Welker war von 2007 bis 2008 als Lehrbeauftragter an der Universität Trier im Fachbereich Soziologie tätig.

Weitere bekannte Beispiel für Netzwerke und geschlossene Gesellschaften sind McKinsey, Goldman Sachs als Extrembeispiel, konfessionelle Verbände, Burschenschaften, Stiftungen, alle Arten von männerbündischen Vereinigungen wie Parteien, Studentenverbindungen, Freimaurer, esoterische und okkulte Gruppen, Sekten, Sport- und Schützenvereine, -  alles im Dienst der Karriere und des Filzes, alles Symptome der Verweigerung einer offenen, transparenten Gesellschaft, letztlich Zeugnis einer Kommunikations- und Leistungsverweigerung, der Vermeidung von Auseinandersetzung, der Vermeidung eines echten, fairen Wettbewerbs der Ideen, der Meinungen, der Überzeugungen. Gleich gesellt sich zu gleich. Gruppenidentität wird zum Machtinstrument.

Der Arbeitsmarkt ist mittlerweile komplett abgeschottet und intransparent, die Rekrutierung erfolgt zunehmend über soziale Netzwerke wie XING, LinkedIn und Facebook. Zwei Drittel aller vakanten Stellen, besonders die begehrten Jobs in der Kreativ- und Medienbranche, werden heute gar nicht mehr offiziell ausgeschrieben, sondern gehen an ehemalige Praktikanten oder über Kontakte der Mitarbeiter. Social media wird zur Bewerberbörse. Unternehmen lassen verlauten, dass durch Facebook offene Stellen tatsächlich schneller und teilweise kostengünstiger besetzt werden können. "kostengünstiger" - das scheint mir hier der entscheidende Faktor zu sein. 

Die Karriereberaterin Svenja Hofert beurteilt die neue Situation für Bewerber wie folgt:
"Die Stellen in den Jobbörsen sind meist Positionen, für die sich auf anderem Weg kein Kandidat gefunden hat. Anders ausgedrückt: Es sind Jobs mit kleinen oder größeren Makeln. (...) Generalistisch geprägte Stellen, die eindeutig die Mehrzahl des gesamten Stellenangebots darstellen, finden sich immer seltener in Form eines Inserats", sagt Hofert. Auch kleinere Unternehmen würden nur noch sehr selten mit einer Anzeige suchen. (...) Wer sozial abgeschottet ist und zudem das Internet meidet, bekommt mehr und mehr ein Problem bei der Jobsuche. (...) Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich diese Personen in den privaten Netzwerken der eigenen Mitarbeiter finden lassen", sagt Jan Kirchner, der die Facebook-Anwendung für Jobs entwickelt hat. Facebook ist für ihn der Schlüssel zu diesen Kandidaten. "Wenn sich die Mitarbeiter des Unternehmens aktiv auf dem Firmenprofil beteiligen, öffnen sie ganz automatisch ihre privaten Netzwerke für die Personalsuche des Unternehmens." (...) Dabei werden neue Talente über soziale Kontakte – beispielsweise von den eigenen Mitarbeitern – gewonnen. Allerdings nutzen die Unternehmen das Potenzial, das in den Netzwerken der eigenen Mitarbeiter schlummert, noch viel zu wenig."
Im Klartext: Die Unternehmen greifen jetzt bei ihrer Bewerbersuche auch auf die privaten Social Media-Kontakte ihrer eigenen Mitarbeiter zu. Gleich gesellt sich zu gleich, das übliche Prinzip. Die logische Folge: Verkrustung, Betriebsblindheit, geistige Inzucht, Negativ-Auslese. Die zunehmende Homogenisierung des Personals führt zwangsläufig zur Konformität. Kontakte ersetzen die Qualifikation. Der Karriereberater Martin Wehrle hat in seiner ZEIT online-Kolumne das treffende Gegen-Beispiel einer Fussballmannschaft genannt. Wenn eine Fussballmannschaft nach denselben Prinzipien rekrutiert werden würde wie heutige Personalabteilungen ihre Mitarbeiter und Führungskräfte auswählen, dann hätten wir - je nach Branche - lauter Mannschaften, die nur aus Stürmern, nur aus Mittelfeldspielern, nur aus Torwarten, nur aus Verteidigern bestünden. Besonders intelligent und nachhaltig ist diese Strategie nicht. Andererseits: Je stärker die Ignoranz der Führungs- und Entscheiderebene den Niedergang der deutschen Wirtschaft beschleunigt, umso besser.

In einer Stellenanzeige für irgendeinen Redakteurs- oder PR-Job habe ich gelesen: "Sie haben sich ein Netzwerk an Kontakten in der Öffentlichkeit aufgebaut " Man muss heute sein Netzwerk als Qualifikationsmerkmal verkaufen, mitbringen in den neuen Job. Kontakte sind zur Ware geworden.

Auch das ist "netzwerken": Den schwachen Punkt beim anderen, das zukünftige Erpressungspotential suchen, schleimen, Intrigen spinnen - ideale Rahmenbedingungen für extravertierte Narzissten und kalt berechnende Psychopathen. Introvertierte, authentische und aufrichtige Menschen sind in dieser für sie toxischen Umgebung so hilflos und fehl am Platz wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dazu passend folgender Forums-Kommentar:
154. Die die sich im Konkurenzkampf 
durchsetzen. Vitamin B, Netzwerke und eiserner Wille zur Macht, Ellenbogengebrauch gehören auch dazu. Eine Talent zur Schauspielerei um soziale Kompetenz vorzutäuschen ist unumgänglich.Die Stillen, Ruhigen, Fleißigen und Bescheidenen bleiben auf der Strecke.
Im Web gibt es regelrechte Like-Netzwerke und Kartelle: Wenn du meinen Blog in deine Roll nimmst, rezensiere ich dein Buch bei Amazon mit 5 Sternen. Wenn du mich likest, like ich dich auch. Um Inhalte, um objektive, sachliche Bewertungen geht es hier schon lange nicht mehr.

Klar ist aber auch: Wer jemals selber von Netzwerken, von persönlichen Kontakten profitiert hat - die Stelle müssen wir nicht ausschreiben, ich kenn' da jemanden, der das machen kann  –, und das sind in bestimmten Branchen die meisten der Akteure, wird das System nie in Frage stellen. Ungerecht ist es trotzdem allemal.

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